Es fehlt noch ein Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt

Mir ist heute nicht zum ersten Mal begegnet, das man von mir als Mitarbeiterin der Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus zu Berlin vollkommene, um nicht zu sagen, totale Loyalität zur Partei, insbesondere zu den Entscheidungen vom Bundesvorstand erwartet.

Meine Loyalität gehört dem Berliner Wahl- und Grundsatzprogramm, gehört der Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus,  im Gesamten als Fraktion. Punkt. Ich lasse mir von niemanden den Mund verbieten, wenn Entscheidungen der Verantwortlichen der Partei im Widerspruch zum Programm oder der Satzung stehen. Das ist leider bei dem jetzigen Vorstand aus verschiedenen Gründen der Fall. Man kann als Vorstand eine Briefabstimmung mit dem Namen BEO schmücken, aber es ist halt nicht das, was in der Satzung steht. Man kann als Vorstandsmitglied privat vollkommen auf soziale Marktwirtschaft stehen, ist mir gleichgültig. Wenn man allerdings nach der Haltung der Partei gefragt wird, sollte man mit dem Programm antworten.

Der jetzige Bundesvorstand hat nicht mein Vertrauen, das ist in den Ereignissen rund um die Marina Kassel 2014 begründet und im damaligen Rücktritt heutiger Vorstandsmitglieder. Bei der Marina Kassel hat  der jetzige Vorsitzende der Piratenpartei eine tragende Rolle gespielt und selbst erstmals die Einigkeit der Partei zusammen mit anderen Anwesenden, insbesondere Mitgliedern von anwesenden Landesvorständen gefährdet. Das Ende kennen wir alle, nach Erklärungen der Landesverbände erfolgte der Rücktritt von mehreren Bundesvorstandsmitgliedern, den ich als Putsch bezeichne, weil mir dafür kein anderes Wort einfällt, dass die Tragweite besser wiedergibt. Wer die Piratenpartei mitten im Wahlkampf fürs Europaparlament im Stich lässt und somit zulässt, dass die verbleibenden Personen eine Anzahl von Aufgaben zu erledigen hat, die diese nicht im Wahlkampf allein meistern können, wird nie wieder mein Vertrauen gewinnen können. Wie bekannt, sind damalige zurückgetretene heute wieder im Bundesvorstand und beschwören nun zusammen mit dem neuen Vorsitzenden die Einheit der Partei, die sie gefährdet und m.E. bereits zerstört haben.

Weiterhin ist dieser Partei die Satzung herzlich egal, wie die letzte LimeSurvey-Umfrage gezeigt hat. Damit kann ich mich nicht mehr identifizieren.

Das nun ausgerechnet dieser Bundesvorstand die Einigkeit der Piratenpartei beschwört halte ich für einen Witz. Ich gehe davon aus, dass Michael Ebener daran glaubt, aber zurückblickend will zumindest die Mehrheit des Vorstandes klare Verhältnisse in Bezug darauf,  alles was sich nicht als sozialliberal sieht, zu links, zu feministisch oder einfach nur zu unbequem ist, loswerden. Der Bundesvorstand insgesamt hat zu verantworten, dass sich viele langjährige, aktive, damit meine ich politische Aktive diese Partei verlassen, unternimmt aber nichts, um diese Mitglieder zu halten oder zurück zu holen. Im Gegenteil, es ist von Konsolidierung die Rede, von lauten Austritten etc. So behandelt man Menschen, die unerwünscht sind und über deren Weggang man sich aller Wahrscheinlichkeit insgeheim noch freut.

Mir ist klar, dass ich auch nicht erwünscht bin und das einzige was mich in dieser Partei noch hält, ist meine Aufgabe als SMV-Beauftragte, für mein Mandat als Bezirksverordnete benötige ich nur das Wahlprogramm 2011, dass die Grundlage für unsere Wahl im Jahr 2011 in Berlin war und dem Landeswahlamt in Berlin vorliegt. Dazu brauche ich keine Partei, die mir klar und deutlich macht, dass sie keine Politik der Teilhabe möchte, sondern sich auf Kernthemen beschränken will, die Politik für die Schwächsten der Gesellschaft, Wohnungslose und Geflüchtete nicht als gewinnbringend ansieht.

Es findet eine Art von Entsolidarisierung innerhalb der Piratenpartei statt, die ich nur aus meiner Zeit in der DDR kenne. Menschen werden permanent geschnitten, ihre Aussagen werden in interpretiert bzw. in nicht zutreffende Zusammenhänge gebracht, um sie zu diskreditieren. Das nannte man zu meinen Zeiten in der DDR Zersetzung und ich nenne das auch jetzt so. Kritik ist unerwünscht, alles nur für die Partei – tut mir leid, auf diese Ideologie bin ich schon vor 30 Jahren nicht hereingefallen und werde es auch jetzt nicht tun. Ich halte viele in der Partei zwischenzeitlich für Menschen, die die Übernahme von Verantwortung für eigenes Handeln scheuen und sich daher immer Schuldige suchen. Seit längerem ist der Berliner Landesverband an vielem, wenn nicht an allem „schuld“, dazu gekommen ist der Landesverband Sachsen und Teile des Landesverbandes Bremen, die allerdings schon den Schritt in Richtung Zukunft, weg von der Partei getan haben. Dazu kommen noch einige Piraten aus anderen Landesverbänden, die aber dort m.E. in der Minderheit sind.

Diese Partei hat panische Angst vor der Aufarbeitung ihrer eigenen Probleme, für die Ursachen für die Wirkungen, die täglich moniert werden. Diese Partei möchte meinem Eindruck nach nicht politisch mit Verantwortung agieren, wenn sie es wollen würde, würde sie sich zumindest Rahmenstrukturen schaffen, ordentliche Mitgliederbeiträge verlangen und vor allem auf Vertrauen der Mitglieder untereinander bauen und nicht auf deren Misstrauen.

Hier schließt sich der Kreis zum Anfang dieses Posts. Immer wieder in meinen mittlerweile jahrelangen Bemühungen, den Mitglieder verständlich zu machen, dass eigene Verantwortung eben auch heißt, mit eigenem Namen für seine Ansichten einzustehen, wenn man gleichberechtigt zu Entscheidungsträgern in der Partei agieren möchte, ist mir immer wieder ein Beispiel begegnet:

„Aber wenn mein Arbeitgeber weiß, welcher Partei ich angehöre oder welche politische Ansicht ich vertrete, dann gefährde ich meinen Job, gefährde ich das Einkommen, von dem ich und ggf. meine Familie leben.“ Meine Antwort darauf war und ist, dass diese Verhältnisse nicht dem gültigen Recht entsprechen und in dem man sie zulässt, sie auch manifestiert, dennoch habe ich stets Verständnis gezeigt und mich letztendlich auch auf die Variante mit meinem Landesverband geeinigt, es den Mitgliedern selbst zu überlassen, ob sie mit ihrem Namen in der Öffentlichkeit auftreten. Bei der parteiinternen „Öffentlichkeit“ sind meine Ansprüche in der Übernahme von Eigenverantwortung bedeutend höher.

Heute haben mir mehrere Mitglieder der Piratenpartei zu verstehen gegeben, dass sie von mir als Angestellte der Piratenfraktion vollständige Loyalität gegenüber der Piratenpartei erwarten. Das heißt man verlangt von mir, still zu sein, meine Kritik zurückzuhalten, weil ich ja meine Bezahlung „indirekt“ von der Piratenpartei erhalten würde. Man denkt, man könne sich das Recht heraus nehmen, mir Weisungen zu erteilen, weil ich ja indirekt von der Partei bezahlt werde. Der Abgrund,, der sich da auftut, ist sehr tief. Das heißt also, dass zumindest diese Mitglieder der Piratenpartei der Ansicht sind, dass man als Arbeitnehmer gefälligst gegenüber seinem Arbeitgeber loyal und kritiklos sein sollte. Bisher dachte ich,nur eine Person denkt so, die ich als Pirat verorte, aber heute waren es mehrere und der Rest bis auf ein paar Ausnahmen bleibt still.

Diese Stille ist die Ursache dafür, dass ich mich isoliert fühle, wie auch jeder Arbeitnehmer, dem vorgeworfen wird, nicht loyal zum Unternehmen zu stehen, wenn  seine Kollegen schweigen. Meine Kollegen in der Fraktion schweigen nicht, sie stehen mir im realen Leben zur Seite, aber ihr, die ihr Mitglieder der Piratenpartei seid, die sich zumindest meiner Ansicht nach gegen Ausbeutung wehrt, seid zum größten Teil still. Denkt ihr, ich bin eure Leibeigene?

Um es deutlich zusagen, selbst wenn ich mein Einkommen direkt von der Piratenpartei beziehen würde, hätte ich das Recht zur Kritik an der Piratenpartei. Um es noch deutlicher zu sagen, dieses Recht hat auch jeder Amts- und Mandatsträger. Diese Haltung, wenn ich als Mitglied die Möglichkeit gebe, Politik zu machen bzw. als Steuerzahler bezahle, der hat so zu handeln, wie ich mir das wünsche, erschreckt mich zutiefst.

Mein Austrittsschreiben habe ich heute formuliert, es ist kurz, weil viel zu sagen gibt es nicht mehr, wenn ich gehe. Diese Blogpost schreibe ich nur, um einigen oder auch mehreren von euch  den Spiegel unter die Nase zu halten. Ihr lasst das zu, ihr lasst das täglich zu, dass Menschen in der Partei sich aus Angst zurückziehen, sich zurückziehen, weil sie den Hass und übersteigerte Erwartungshaltung nicht mehr ertragen können.

I H R   S C H A U T   W E G.

Meine Mitgliedschaft bei den Piraten ist unbedeutend, ob ich nun dabei bin oder  nicht, es würde den wenigsten Mitgliedern der Piratenpartei auffallen. Aber ich bin nicht allein, mit dem Gedanken zu gehen, spielen so viele, vor allem viel mehr, als ihr seht. Vielleicht denkt ihr mal darüber nach, warum so viele gehen, die strukturelle Änderungen und die Erfüllung von Parteiprogramm und Wahlprogrammen eingefordert haben. Es könnte sein, dass die Piraten bald die Kernthemenpartei sind, die sie sein wollen, nur dass sie dann eben wieder wie vor 2009 einfach bedeutungslos sein wird, weil Überwachung etc, dass haben sich schon längst andere Parteien auf ihre Fahnen geschrieben, es bleibt euch noch das Urheberrecht. Ein kompliziertes System mit komplizierter Gesetzgebung,  dessen Abläufe, die wenigsten der wahlberechtigten Menschen in diesem Land kennen bzw. nachvollziehen können.

 

 

 

 

 

8 Gedanken zu “Es fehlt noch ein Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt

  1. hallo moni,

    bin auch nicht-pirat aber sympathisant der piratigen grundidee (bürgerrechte, netzneutralität, radikale grundlegende gerechtigkeit, überkommene stereotypen aufbrechen, etabliertes infragestellen, gesellschaft neu denken etc.) und schließe mich dem „exwähler“ vollauf an.
    als baden-württemberger bin ich es leider gewohnt, dass alles, was in parteien aus dem süden kommt, offenbar grundsätzlich wirtschaftsliberaler und konservativer (und unsympathischer) ist als der standard. bei den piraten ist es aber – genau wie bei den grünen – besonders krass, vor allem durch die negativen änderungen in letzter zeit.

    die piraten werden dann wohl die fünfte (oder sechste) „partei der mitte“ werden: wunderbar konsensfähig, „angekommen“ und so „demokratisch“, wie es die etablierten parteien, denen entgegenzutreten die piraten eigentlich gegründet worden sind, es sich nur wünschen können. was das heißt, dürfte klar sein.

    und, ehrlich gesagt, seit offenbar seit jahr und tag nazis unter dem deckmantel der redefreiheit narrenfreiheit genießen, gleichzeitig aber linke, die – vielleicht auch manchmal etwas überengagiert – ähnlich moderne ideen von gleichheit und gerechtigkeit vertreten (auch mir zuweilen etwas zu aggressiv), wie zumindest ich sie häufig unter den ganzen post*-hipsterslogans verstanden habe, brutalstmöglich weggemobbt werden, ist klar, wohin die reise geht.

    in meinem fall dann halt in die definitive unwählbarkeit. wo die fdp war, ist jetzt ja ein plätzchen frei.

    die linken piraten sind sicherlich auch nicht alle nur sympathieträger. einige finde ich unglaublich peinlich und andere verfolgen offenbar ihre eigene agenda (namen möchte ich nicht nennen). aber dem gegenüber steht eben eine menge engagierter idealistischer leute, die sich die nächte für flüchtlinge um die ohren schlagen und gegen nazis aufstehen, während die selbsternannte spezialliberale front sich vorzugsweise twitternd im establishment suhlt und tönt – und meint -, sie könnten alles besser; sich 3x „freiheitskämpfer“ in die social media profile schreibt und meint, damit sei des gesellschaftlichen engagements genüge getan.

    auf so eine partei kann ich verzichten, davon gibt es schon 5 stück in diesem land.
    und verzichten tue ich dann auch.

    schade um eine schöne, hoffnungsvolle utopie!
    (aber warum soll es den piraten anders gehen als den grünen)

  2. Ich denke, ein Hauptproblem war die zunehmde Radikalisierung einiger Mandatsträger, weil sie erkennen mussten im parlamentarischen Betrieb nur sehr begrenzt wirksam oder „zu langsam wirksam“ werden zu können…
    Das hat dann auch zu Radikalisierungen durch Desillisionierung bzw. Unterstützung Radikaler im LV und letztlich auch parteiintern zu Schwarz-Weiss-Denken geführt.

    Das Wahlprogramm war hervorragend – bei der Umsetzung desselben zu bleiben, hätte vollkommen ausgereicht….

  3. Grundsätzlich gibnt es bei der“Loyalität“ eines Fraktionsmitarbeiters Unterschiede zu einem, normalen Angestellten. Auf Tendenzbetriebe – wie Fraktionen – finden die Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes keine Anwendung. Selbst außerbetriebliches Verhalten, das mit dem Betriebszweck nicht vereinbar ist, kann unter Umständen eine Kündigung rechtfertigen. Wer selber denken will, sollte eben nicht inm einmem, Tendenzbetrieb arbeiten.

  4. Ich finde das eigentlich als Wähler ganz gut, dass sich hier jetzt die Spreu vom Weizen trennt, auch wenn jetzt ja eher der Weizen geht. Aber so kann ich mich endlich hemmungslos über die verbleibende Restkatastrophe amüsieren, vorher hätte sich das doch mies angefühlt. Es ist wie es ist und das war doch schon zur BTW, bzw. davor klar. Ich kann mich nun schämen dafür, mal öffentlich mit den Piraten sympathisiert, und sie gewählt zu haben. So hat jeder sein Päckchen zu tragen. Jedenfalls habe ich die sicher wegen Leuten wie dir und vielen anderen gewählt, euren Ideen, und eben dem Programm, das ihr hattet – und wegen der Alternativen. Euer Stil war mir aber von beiden Seiten schon damals sehr unangenehm, obwohl von „rechts“ immer noch etwas peinlicher, und auch offensichtlich dümmlicher. Aber allgemein wenig Empathie füreinander und viel Engstirnigkeit. Hättet ihr die CDU mal so bekämpft wie euch gegenseitig. Nachdem ja recht früh absehbar LQFB abgesägt wurde, gegen das BGE fortwährend gestänkert, und ich mitbekam, von wem so und mit welchen Argumenten, und das sie sogar zu ihren „Kernthemen“ (Snowden)so gut wie nix gebacken bekamen, erlosch mein Interesse zunehmend und die Wählerstimme war dahin. Ich weiß nicht, was dieser komische Bayern-Hessen-Flügel jetzt noch will, eine Internet-FDP, eine CSU mit App, eine Partei, die es diesen GEZ-Abzockern mal so richtig zeigt, die Heise-Newsticker-Protestpartei… meins ist das alles wie gesagt schon lange nicht mehr und ich bin froh, dass ihr austretet, es war gruselig, sich das alles gelegentlich noch von der Tribüne anzusehen, und die Marke Piraten ist sowieso schon längst verbrannt durch all das. Das Experiment war es aber sicher wert. Danke!

    1. Vielen Dank, dass du als „Unbeteiligter“ hier diesen Kommentar hinterlassen hast. Du hast recht, wie es auch immer ausgeht, das Experiment war es wert. Ich für mich habe viele nette Leute kennengelernt und auch viel über Politik gelernt, manches ist dabei, was ich eigentlich nicht wissen wollte.

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