Es war so eine Hoffnung, so ein Schimmer, als am Sonntag sich ca. 200 Personen im Foyer beim Bundesparteitag trafen und diskutierten. Das zu sehen, hat selbst mir – von Berlin aus – Hoffnung gegeben, vielleicht ist ja doch noch nicht alles zu spät – für die Piratenpartei – Bund – und mich. Es war wieder dieses Gefühl, der Zusammengehörigkeit – mit Visionen als Ziel die Gegenwart und Zukunft gestalten. Das war mein Eindruck am Sonntag, den 29.06.2014.
Mumble
Die Ernüchterung kam ziemlich schnell, bereits als angekündigt wurde, dass ein Treffen im Mumble geplant ist. Echt – Mumble? Dort, wo über Menschen wie mich tagtäglich hergezogen wurde, wo mein Landesverband permanent angegriffen wird und für alles, wirklich alles als Sündenbock herhalten musste? Wo man sich permanent untereinander hochgeschaukelt hat, wie wenig Kernthemen die sogenannten „linken“ Piraten doch bearbeiten? Wie weit das von der Realität entfernt ist, hatte ich schon im Blogbeitrag Piraten – Lethargie, selbsternannte Experten und das Hamsterrad erwähnt und muss hier nicht wiederholt werden.
Aber viel grotesker ist, dass ausgerechnet eine Plattform gewählt wird, die keinerlei Interaktion zu lässt, aber dafür Anonymität, Pseudonymität und permanent einen Chat, der Zuhörern schnell klar machte, wie unwillkommen man dort eigentlich ist. Kein Moderator der Welt hätte das schaffen können, in der gewählten Form eine gewinnbringenden Diskussion zu erreichen. Niemand und der Moderator im Mumble hat sein bestes gegeben.
Wenn eine größere Gruppe sich darüber klar werden will, wohin ihr Weg gehen soll, welche Risiken sie eingehen wollen – also wenn es kurz gesagt, um Entscheidungen geht, eignet sich keine Plattform, in der man nicht miteinander, sondern nur nacheinander reden kann. Die Mehrzahl der Mitglieder in dieser Partei hat eingesehen, dass Bundesparteitage kein Rezept für Beteiligung aller Mitglieder sind, obwohl auf dem Bundesparteitag Interaktionen, Diskussionen im großen und kleinen Kreis möglich sind und ausgerechnet die progressive Plattform trifft sich im Mumble und bremst damit alles aus, die Hoffnungen auf einer Alternative zum als konservativ empfundenen Standpunkt der Mehrzahl der neugewählten Vorstandsmitglieder – den Aufbau einer tatsächlichen Alternative. Die Stimmung im Mumble wegen der strengen Regeln ließ ja nicht mal Diskussionsspielraum zu.
Damit keine Missverständnisse auftauchen, ich fand es richtig, dass man durch Regeln versuchen wollte, die Diskussion in diesem „Territorium“ erträglich zu gestalten, aber damit hat man ihr den Großteil der Kraft genommen.
Selbstorganisation
Ob man sich nun als Flügel verstehen will, als Plattform die mehr als Piratenmitglieder beinhalten möchte oder als Brückentechnologie zu einer neuen Partei – alles Punkte die im Vorfeld mit der progressiven Plattform in Verbindung gebracht wurden (und werden) – in jedem Fall muss die Gruppe, die sich zusammenfindet zunächst und allererst Entscheidungen treffen, was sie ist oder sein will. Diese Entscheidung vorzubereiten – heißt über alle Alternativen zu diskutieren – kann man NUR untereinander“ machen und nicht als offene Diskussion.
Für Selbstorganisation fehlen der Piratenpartei die Instrumente, sie hat sich ja – trotz von sogenannten Progressiven vorgebrachten Bedenken – für eine Personenstruktur entschieden, in der wenige die Verantwortung für alle anderen haben und dementsprechend regelmäßig ausbrennen, ein System der Überforderung wurde aufgebaut und sich regelmäßig darüber empört, wenn die Beauftragten oder gewählten Menschen die Aufgaben nicht perfekt ausgeführt haben, obwohl schon der Status der Selbstaufopferung für die Ziele der Partei erreicht wurde und dementsprechend scheitern mussten.
Es wird nicht verwunderlich sein, dass ich als Instrument der Selbstorganisation auf elektronische Plattformen setze, LiquidFeedback ist da ein Beispiel, was den Piraten bereits bekannt ist. Aber auch diese Plattform, wenn man sich so organisieren will, was ich wegen der Gleichberechtigung der Mitglieder und der Arbeitsteilung befürworten würde, muss erst einmal eingerichtet werden. Und für die Einrichtung sollte man sich für mit den 5 W-Fragen beschäftigen, dass heißt, bevor man elektronisch arbeiten kann (wenn man dann will), muss man sich im realen Leben treffen und entscheiden, wohin die Reise gehen soll. Das ist immens wichtig, dass man sich überlegt, wer den der Teilnehmerkreis sein soll, weil es Auswirkungen auf die Zukunft der Gruppe hat.
Dezentral?
Warum nicht? Was spricht denn dagegen, dass man sich zunächst da trifft, wo man ohnehin ist bzw. es nicht schwer hat hinzukommen. Ob man nun Landes- oder Regionentreffen organisieren will, ist dabei nicht von Bedeutung. Wichtig ist, dass das politische Leben in der Gruppe erhalten wird und es nicht in Vergessenheit gerät oder im Sande verläuft, wie es uns gerade die Gruppen „Gruppe42“ und „Frankfurter Kollegium“ vorgemacht haben. Trefft euch, vernetzt euch, wann immer ihr Gelegenheit habt, wer hält euch davon ab?
Es müssen einige Leute sich den „Hut“ aufsetzen und zumindest ansatzweise koordinieren, das sich dort wo Interessierte vorhanden sind, auch Treffen ermöglicht werden können. Das beinhaltet aber für diese Personen auch, dass sie Gefahr laufen, ihre u.U. vorhandene Zukunft in der Piratenpartei aufs Spiel zu setzen. Das muss und sollte denjenigen klar sein, dass sie dieses Risiko eingehen, also dass sie bewusst Verantwortung für ihr eigenes Handeln übernehmen und sich somit auch Kritik aussetzt.
Vielleicht gelingt es dann, die Vorstellungen der Piraten, die sich momentan als progressiv bezeichnen, zusammenzutragen und dann ein etwas größeres Treffen zu veranstalten, in dem festgelegt werden kann, als was sich die Gruppe versteht, was sie erreichen will und wo sie ihre Zukunft sieht und mit wem. Dann wäre der Moment gekommen, an dem man sich für ein elektronisches Instrument zur Willensbildung entscheiden sollte. Was ich mir da vorstelle, ist wohl jedem klar, der mehr als diesen Artikel im Blog liest, nennen wir es Ständige Mitgliederversammlung oder Willensbildung mittels Liquid Democracy und ja, zur Verfügung steht dafür bisher LiquidFeedback. Aber es sollte sich nicht über die Software, sondern um die Art der Demokratisierung der Gruppe gestritten werden.
Nur an der Oberfläche gekratzt
Es wurde zunächst über Konfliktlinien geredet (ich kann es nicht Diskussion nennen, weil diese nicht möglich war). Dabei kam heraus, dass diese – Protestformen von Aktivismus, Liquid Democracy und Feminismus sind. Und ich habe mich in dem Moment gefragt, über was redet ihr da eigentlich? Eine Gruppe will sich bilden und diskutiert erst einmal darüber, warum sie mit der anderen nicht klarkommt. Warum musste man sich rechtfertigen oder ging es wieder einmal um Selbstbeschäftigung. Müsste eine Gruppe sich nicht erst einmal selbst definieren, um dann die Abgrenzungen zu anderen Gruppen zu finden? Warum wurde da gestern andersherum gemacht?
Und die Konfliktlinien haben einfach das übliche zu tage geförder: nur die Wirkungen spielten eine Rolle und nicht die Ursachen. Warum stehen wir denn zur anderen Gruppe im Konflikt, doch nicht wegen unseren Formen des Aktivismus, wegen Tools oder wegen Feminismus.
- Wir stehen im Konflikt, weil wir nicht mehr als Netzpolitik wohlen, also mehr als die sogenannten Kernthemen.
- Wir stehen im Konflikt, weil wir nicht nur Macht teilen wollen, sondern uns auch bewusst ist, dass wirkliche soziale Teilhabe für alle bzw. für den Einzelnen eine Einschränkung zum bisherigen Lebensstandard bedeuten kann – und trotzdem setzen wir uns dafür ein.
- Wir stehen im Konflikt, weil wir nicht nur auf Personen setzen wollen, sondern das Netz als Möglichkeit der ständigen Interaktion sehen, als Chance der Selbstorganisation. Das ist nichts für Menschen, die möglichst selbst alles unter Kontrolle haben und überschaubar halten möchten.
- Wir stehen im Konflikt, weil wir Verantwortung für unser eigenes Handeln übernehmen und eben nicht pseudonym oder anonym über unsere eigene Politik diskutieren wollen.
- Wir stehen im Konflikt, weil wir die rechtsstaatlichen Grundlagen nicht als Bibel ansehen, sondern hinterfragen und auch in einigen Punkten ändern wollen.
Ich finde es schade, dass dies gestern nicht einmal angeschnitten wurden, aber eigentlich auch wieder nicht, weil wir so die Möglichkeit haben, den gestrigen Abend einfach als Diskussionsabend ohne irgendwelche Festlegungen oder Empfehlungen ansehen und noch einmal von vorn anfangen.
Flügel – Verein – Partei?
Da ich das gestern nicht lange ausgehalten habe, habe ich in das Protokoll geschaut. Unabhängig davon, dass dies ja nur die „Empfehlungen“ der Menschen sein können, die zur „Sprache“ kamen, finde ich, dass darin hier eine ordentliche Portion Angst vor der eigenen Courage steckt.
Flügel
Fangen wir mit dem Flügel an, warum sollte es schwierig sein, ihn zu gründen? Was sollte uns davon abhalten können, eine Gruppe innerhalb der Partei zu bilden und wer? Richtig, niemand. Wozu brauchen wir ein Mitspracherecht in der Piratenpartei, wenn es doch eigentlich eher um unsere eigene Selbstorganisation geht. Wir sind ja dann noch weiterhin Piraten, mit den Rechten, die wir ohnehin haben. Aus welchem Grunde sollte uns auch eine Sonderstellung eingeräumt werden und vor allem, warum sollten wir diese wollen?
Aber was mich dann wirklich gewundert hat, warum bezeichnen wir uns nicht als das, was wir sind. Wir sind die innerparteiliche Opposition und damit hätten wir als Flügel die Aufgabe der Kontrollfunktion und der Erarbeitung unserer eigenen Positionen, um diese in die Partei zu tragen und so Mitstreiter für die jeweilige Position zu gewinnen. Das wäre ja schon mal was.
Themensprecher – wie viele Fehler wollen wir eigentlich ständig wiederholen – um dann da zu landen, wo der Misserfolg auf uns wartet? Was sollen sie denn tun? Innerhalb der Partei für uns sprechen, können wir doch allein oder soll das Ganze in die Öffentlichkeit getragen werden. O.K. aber warum wollen wir dann die Last der Verantwortung wieder Einzelpersonen übertragen, haben wir wirklich rein gar nichts aus der Vergangenheit gelernt? Wie viele Menschen wollen wir noch verbrennen oder wie viele sollen noch für den Rest als Angriffsfläche dienen?
Verein
Auch hier wieder Angst vor der eigenen Courage. Ein Verein könnte die Partei spalten. Warum eigentlich sind unterschiedliche, aber dennoch demokratische Ansichten innerhalb einer Partei ein Spaltungsgrund? Warum lassen wir uns das immer wieder einreden? Bedenken, Bedenken und nochmals Bedenken – wo ist die Gruppe geblieben, die sich am 29.06. im Foyer getroffen hat. Ja, es gibt Risiken, nein wir können sie nicht zu 100 % einschätzen, aber deshalb kuschen und alles fast so bleiben wie es ist?
Was mich dann wieder direkt getroffen hat, da heißt es wieder, die Berliner, bei den wäre das möglich, aber im Rest nicht. Warum nicht? Wenn man auf den Stadtcharakter hinaus will, gibt auch noch woanders Großstädte und Kleinstädte, Berlin ist nicht die einzige Stadt. Andere politische Kultur? Ist das euer Ernst, habe ich das mit der Hamburger Besetzerszene nur geträumt? Haben sich die Studenten in Bayern nicht zusammengeschlossen, um sich gegen Studiengebühren zu wehren – werden die Atommülltransporte nur von Berliner Demonstranten begleitet? Hat sich der Rest wirklich schon so auf das vermittelte Feindbild Berlin eingeschossen, dass der Wald vor Bäumen nicht gesehen wird?
Das Argument neue Struktur schafft neue Arbeit stimmt nicht so ganz, die Struktur würde ja fehlende innerhalb der Partei ersetzen, die wir momentan schlichtweg nicht haben. Das durch einen Verein die inhaltliche Arbeit behindert wird, ist ein Witz. Diese könnte zumindest durch ihn etwas koordinierter ablaufen, also nicht vier Gruppen arbeiten parallel. Außerdem – wie gesagt die elektronische Plattform, die die Willensbildung erleichtern soll, ist ja auch noch da. Also ich sehe da eher Vorteile gegenüber dem Arbeiten in Kleingruppen.
Partei
Das ist auf jeden Fall die schwerste aller Entscheidungen, da dies beinhaltet, sich kurz- oder mittelfristig von der Partei zu verabschieden. Gleichzeitig ist es die konsequenteste aller Varianten, aber mir fällt es schwer, diesen Schritt zu gehen. Dennoch würde ich diesen Schritt nicht von vornherein ausschließen. Es kann durchaus sein, dass sich dieser Schritt aus den beiden anderen Varianten an einem Tag X ergibt. So ist auch das Fazit des gestrigen Abends.
Die geringe Bandbreite der Aussagen gerade in diesem Punkt zeigt allerdings auch, dass nicht jeder, der sich sich der progressiven Plattform zugeordnet fühlt, das Wort ergriffen hat. Zu groß die Angst vor denen, die gerade auf derartige Aussagen lauern, man konnte wohl nicht frei sprechen. Es zeigt aber auch, dass manche, die innerlich mit diesem Gedanken bereits spielen, nicht den Weg ins Mumble gesucht haben und nicht zumindest teilweise zugehört haben. Es wurden viele mit dem Aufruf zur Mumble-Sitzung zu kommen, nicht erreicht, weil sie diese Plattform meiden, aus Gründen.
Fazit
Man hat alle Möglichkeiten, um zu einer Entscheidung zu gelangen. Nichts ist ausgeschlossen und alles ist möglich. Empfehlenswert ist, sich zu überlegen, wie man diese Entscheidung(en) möglichst so organisieren und vorbereiten kann, dass eine breite Beteiligung der an dieser Plattform Interessierten möglich ist.
Ich weiß nicht, ob es nur mir so geht, für mich ist die Bundesebene der Piraten wieder in die Ferne gerückt. Warum soll ich mich damit herumschlagen, wenn ich doch kommunal und auf Landesebene mich engagieren kann, wo ich vergleichsweise weniger Gegenwind bekomme.
Gibt es wieder Mumble-Sitzungen und dann die nächste und die nächste, bis alles im Sande verlaufen ist oder traut man sich, Gesicht zu zeigen und organisiert vornehmlich reale Treffen? Wird man wie die Piratenpartei an der Personenstruktur festhalten oder doch der elektronischen Willensbildung inkl. offenem Auftreten und der Übernahme der Verantwortung für eigenes Handeln eine Chance geben.
Das sind für mich die Fragen, ob ich mich bei der progressiven Plattform einbringe, ich brauche keine zweite Piratenpartei, die die gleichen Fehler in der Struktur und in Demokratisierung macht, wie die Bundesebene der Piratenpartei. Das hat für mich keinen Mehrwert. Eine Gruppe, die ihre Bedenken über ihre Visionen stellt, die ständig Angst vor der eigenen Courage hat, ist ebenfalls nichts für mich.
Das heißt nicht, dass die Mehrheit derer, die sich der progressiven Plattform zugehörig fühlen oder darüber nachdenken, dass so sehen wie ich. Das kann ich mangels elektronischer, offener Instrumente der Willensbildung nicht wissen.
Ich habe nur diese eine Bitte, gebt dieser Vision, die Hoffnung bei so vielen geweckt hat, die innerlich schon aufgegeben haben, eine Chance. Macht sie nicht durch Bedenken, Angst und Treffen im Mumble kaputt. Im Mumble kann zumindest diese Vision der progressiven Plattform, ob nun als Flügel oder als Verein oder als Brückentechnologie nicht leben, dort stirbt sie schneller als gedacht.