Demokratie – Relevanz von Entscheidungen und ihre Vergleichbarkeit – Positionspapiere

Die Relevanz der Entscheidungen ist von mehreren Faktoren abhängig, u. a. von der Gruppe, die sie trifft und deren Befugnissen, von der Feststellung der Berechtigung zur Teilnahme an den Entscheidungen und auch vom Zweck der Entscheidungen.

Wenn sich die Mitglieder einer Partei einer Gliederung zu einer Versammlung treffen, so spricht das Parteiengesetz vom höchsten Organ der Gliederung – zu Recht. Die Beschlüsse dieser Gliederung erhalten ihre Relevanz durch die Teilnahme der Vielzahl von akkreditierten Mitgliedern, deren Stimmberechtigung festgestellt wurde und durch den Anspruch Beschlüsse über die eigene Partei, ihr Programm und ihre Positionen zu treffen.

Warum beschlossene Positionspapiere Positionen der Piratenpartei Deutschland Berlin sind

Aus diesem Grund fehlt mir jegliches Verständnis für eine Initiative im Liquid Feedback der Piraten Berlin  mit einfacher Mehrheit beschlossene Positionspapiere sind nur Arbeitsthesen des LV , die die Änderung der Satzung des Berliner Landesverbandes wie folgt fordert:

Politisch-inhaltliche Beschlüsse der Landesmitgliederversammlung, die keine Programmänderung gemäß § 15 darstellen, sind Arbeitsthesen, die als Basis und Anregung für weitere programmatische Arbeit dienen sollen. Sie stellen keine Position des Landesverbandes dar und werden daher auch nicht als solche nach innen oder außen dargestellt.

Mensch lasse sich dies auf der Zunge zergehen, Beschlüsse über Positionspapiere des obersten Organs des Landesverbandes sind nur Arbeitsthesen, keine Relevanz und nicht nach außen und innen als Positionen des Landesverbandes darstellen, die Frage darf erlaubt werden, warum dann überhaupt ein Beschluss, lassen wir es doch ganz, wenn wir nicht wollen, dass unsere eigenen Beschlüsse eine Relevanz haben.

Aber warum wollen wir das nicht? Nun es gibt ein Urteil des Bundesschiedsgerichts vom 20.12.2010 bezogen auf das Bundesparteiprogramm (!) und einen Bundesparteitag (!) in dem die Aussage zur Debatte stand, dass Positionspapiere mit einfacher Mehrheit beschlossen wurden, weil gleichlautende Programmanträge nicht die erforderliche 2/3 Mehrheit erhalten haben. Nun – mein erster Gedanke war → na und? Das Bundesschiedsgericht wies die Klage ab, äußerte aber Bedenken,

dass falls die Grenzen zwischen Positionspapieren und tatsächlichen Programmaussagen der Partei in der Innen- oder Außenwahrnehmung beabsichtigt oder unbeabsichtigt zu stark verwischen sollten, von einer verdeckten Programmänderung ausgegangen werden muss. Sobald diese Grenze überschritten ist, folgt analog zu §117 Abs. 2 BGB automatisch, dass die Voraussetzungen einer erfolgreichen Programmänderung vorliegen müssen. Hierzu gehört auch die zur Programmänderung erforderliche Mehrheit nach §12 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §12 Abs. 3 Bundessatzung. Da aus dem Protokoll des Bundesparteitages Chemnitz nicht erkennbar ist, dass dieses Quorum erreicht wurde, könnten als Folge hiervon die Beschlüsse zu den Positionspapieren vom Bundesschiedsgericht für von Anfang an als ungültig erklärt werden.“

Es gab abschließend die Empfehlung:

In Ermangelung einer Regelungsgrundlage von Positionspapieren in der Satzung sind alle Organe und Gruppierungen der Partei dazu angehalten, die Trennung von Programm und Positionspapieren im Rahmen ihrer Möglichkeiten aktiv aufrecht zu erhalten.“

Diese Empfehlung ist bereits umgesetzt, bei allen Veröffentlichungen der Piratenpartei Deutschland Berlin wird zwischen Grundsatzprogramm / Wahlprogramm / Positionspapieren unterschieden, diese Unterteilung ist somit vorhanden. Die rechtliche Grundlage für Positionspapiere dagegen nicht. Aus welchen Gründen der Verfasser der Initiative, den ich eigentlich sehr schätze, zu dem Schluss kam, dass aus dem Urteil des BSG hervorgeht, dass auf der LMV beschlossene Positionspapiere nur als Arbeitsthesen angesehen werden dürfen und somit auch nicht nach innen oder außen als Position dargestellt werden kann, kann ich nicht nachvollziehen.

Vielleicht liegt es am mangelnden Verständnis wo die Unterschiede zwischen Programmaussagen und Positionen der Partei zu suchen sind. Gemäß § 6 PartG ist jede Partei verpflichtet, sich ein Programm zu geben, die gemäß § 9 Abs. 3 PartG durch einen Parteitag (Mitgliederversammlung) beschlossen wird. Weiterhin ist jede Partei gemäß § 1 PartG u.a. dazu aufgerufen:

  • sich an der politischen Willensbildung des Volkes durch dauernde Mitwirkung zu beteiligen,
  • auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung Einfluss zu nehmen
  • die politische Bildung anzuregen und zu vertiefen
  • die aktive Teilnahme der Bürger am politischen Leben zu fördern

Für die Willensbildung schreibt § 15 PartG für Beschlüsse eine einfache Mehrheit vor, wenn Satzung und Gesetz nichts anderes aussagen. Meine ernsthafte Frage ist, wie man dieser Aufgabe nachkommen möchte, wenn erarbeitete Positionen nicht nach außen getragen werden dürfen, obwohl ein Beschluss dazu vorliegt. Wie man diese Aufgaben erfüllen kann, wenn man diese erarbeitete und beschlossene Position nicht nach innen als derzeitige Position der Partei darstellen darf, um sie weiter zu entwickeln, ist mir ebenfalls schleierhaft. Wir brauchen diese Positionspapiere für die Aufgabenerfüllung, gerade weil es bei uns keine Richtlinienkompetenz gibt, weil keine Gruppen verbindlich für andere vorschlagen, welche Themen zu Programminhalten weiter entwickelt werden und die Initiative sagt, Arbeitsthesen – nicht relevant.

Zum Verständnis, das Grundsatzprogramm haben sich die PIRATEN Berlin gegeben, um sich selbst entsprechend § 6 PartG zu definieren, die Zielsetzung des Landesverbandes zu manifestieren. Auf diesem Grundsatzprogramm baut sich im Idealfall das Wahlprogramm auf. Das Wahlprogramm wiederum ist ein Verpflichtung, welche Themen man im Rahmen der in der Legislaturperiode zur Verfügung stehenden Möglichkeiten angehen und umsetzen möchte. Es ist sozusagen die mittelfristige Aufgabenstellung, während das Grundsatzprogramm die langfristige Aufgabenstellung darstellt.

Und Positionspapiere – sie sagen aus, welche Position die PIRATEN Berlin über ein Thema vertreten, ohne dass es bereits zu einer beschlossenen Aufgabenstellung des Landesverbandes wird, sondern dass durch Weiterentwicklung hieraus eine programmatische Forderung erarbeitet wird. Diese Position darf nicht nur, sondern muss nach außen und innen vertreten werden, wenn das betreffende Thema zur Sprache kommt, wie sollten wir sonst unsere Aufgabe nach § 1 PartG erfüllen.

Wahrscheinlich ist es das Absprechen der Relevanz eines getroffenen Beschlusses, der mich so sehr bewegt, dass ich am liebsten gestern der Partei den Rücken gekehrt hätte. Die Politik der Angst, den Weg zu suchen, der am leichtesten erscheint, statt sich Gedanken über die möglichen Wege zu machen, um nur Forderung XY zu erfüllen, nervt mich zusehends und wenn Mensch einem Beschluss die Relevanz nehmen will, dann ist das für mich nichts anderes, als wenn Mensch sagt, das Ergebnisse aus dem Liquid Feedback der PIRATEN Berlin nur Meinungsbilder sind. Das gleiche Muster, einer Entscheidung Relevanz abzusprechen, obwohl sie diese besitzt.

2/3-Mehrheit ist kein Allheilmittel und verhindert eine Priorisierung der Relevanz von Entscheidungen

Eine Alternative zur erwähnten Initiative fordert das Quorum für alle politisch-inhaltlichen Beschlüsse der LMV auf 2/3 anzuheben. Das ist nicht viel besser, wenn gleich das Parteiengesetz dem nicht widerspricht.

Mein Verständnis von Demokratie ist es jedoch nicht. Da haben wir eine zwei Jahre alte Entscheidung des BSG dass aufgrund der fehlenden rechtlichen Satzungsgrundlage Empfehlungen zum Trennen von Programmaussagen und Positionspapieren gibt und in ihren Bedenken davon spricht, WENN die Vermischung von Programmaussage und Positionspapier so stark ist, dass man diese nicht mehr auseinander halten kann, ob nun Programm oder Position, eine 2/3 Mehrheit erforderlich wäre.

Und in dem uns wohl innewohnenden Geist des vorauseilenden Gehorsams wird sofort das WENN als Realität angesehen und eine allgemeingültige 2/3 Mehrheit für Positionspapiere gefordert, genauer Wortlaut:

Für politisch-inhaltliche Beschlüsse der Landesmitgliederversammlung gilt hinsichtlich der erforderlichen Mehrheit dieselbe Regelung, wie für das Wahlprogramm.

Für das Wahlprogramm gilt bei den PIRATEN Berlin eine 2/3-Mehrheit. Mein Unverständnis beruht darauf, dass das WENN des BSG für mich bedeutet, dass auf Einzelfälle und nicht auf das allgemeine Auftreten verwiesen wird. Also wenn Handlungsbedarf besteht, in einer so gearteten Situation – liegt der Handlungsbedarf beim Wahlleiter – in dem Sinne ist u.U. eine Änderung der Wahlordnung gegeben, aber keine Satzungsänderung, die die Forderung nach einer höheren als der lt. § 15 PartG einfachen Mehrheit beinhaltet.

Nun könnte man sagen, dann lasst uns doch die Mehrheit für das Wahlprogramm ändern, ja – kann man – aber die Überschrift und die Begründung sprechen gegen diese Auslegung der Satzungsänderung und ein Anliegen in diese Richtung vermag ich nicht zu erkennen. Ich erkenne hingegen Angst aus der Formulierung der Begründung:

Damit nicht der Eindruck entsteht, dass sogenannte Positionspapiere nur dazu dienen, politisch-inhaltlichen Anträge, deren inhaltliche oder handwerkliche Qualität nicht für die erforderlichen 2/3-Mehrheit für Programmanträge ausreicht, mit einfacher Mehrheit beschließen zu können.“

weil es eine Reaktion der Angst oder auch Fürsorge ist, wird die Tatsache, dass der Eindruck vorhanden ist, im bereits erwähnten vorauseilenden Gehorsam schon vorweg genommen. Wieder einmal wird versucht, im Vorfeld unter Umständen vielleicht eintretenden Sachverhalte aus dem Weg zu räumen und dafür sind wir bereit einen Teil des demokratischen Verständnisses von mit einfacher Mehrheit getroffenen Entscheidungen gleich mit zu opfern. Und auch diese Art von Politik ist für mich unerträglich.

Bei einer Forderung einer 2/3 Mehrheit für eine Position, die noch keine Aufgabenstellung beinhaltet, die sich aufgrund der Weiterentwicklung ändern kann, wird die Gleichberechtigung verletzt. Die Forderung nach einer weitreichenden 2/3 Mehrheit wird uns so manche Idee kosten, weil sich beim Beschluss noch nicht alle Stimmberechtigten überhaupt informiert oder auch die Intention der Position zustimmen können, ohne sich eingehender mit dem Thema zu beschäftigen.

Eine Position, die Visionen keine Chance geben wird, eine Position des Bewahrens, es wird nur das anerkannt, was diese Hürden erfüllen kann.

Darüber hinaus wird durch die Forderung nach 2/3-Mehrheit ein Positionspapier wiederum auf die gleiche Stufe wie ein Satzungsänderungs- oder Programmantrag gestellt und hier darf die Frage erlaubt sein, in wie fern dass Initiator und Unterstützern klar ist, dass daraus folgt, dass die aus dem beschlossenen Positionspapier abzuleitende Forderung den Anspruch hat, erfüllt zu werden, egal ob die Absicht besteht, das Positionspapier weiterzuentwickeln oder nicht.

Man kann das vergleichen mit der immer wiederkehrenden Forderung, den Bundespräsidenten direkt durch das Volk zu wählen und dem fehlenden Verständnis dafür, dass eine solche direkte Wahl vom obersten Souverän – dem Volk – dem Gewählten aufgrund der Relevanz eine Vielzahl von Rechten zugestanden werden muss.

Also wird mit der Forderung nach 2/3 Mehrheit eigentlich sogar die Unterscheidung zwischen Programmaussage und Position genommen – gewollt?

Unterscheidung ist möglich – ohne Relativierung – ohne neue Hürden

Zurück zum Ursprung, die Unterscheidung von Programmaussagen zu Positionen, es ist eigentlich ganz einfach und man hätte die rechtliche Grundlage in der Satzung, die eine allgemeine Unterscheidung ermöglicht und die einfache Mehrheit in der Satzung festlegt:

Beschlüsse über Positionspapiere der PIRATEN Berlin stellen keine Beschlüsse gemäß § 6 PartG dar und werden nicht dem Grundsatz- bzw. Wahlprogramm zugeordnet. Beschlüsse über Positionspapiere erfordern als Mittel zur Willensbildung gem. § 15 PartG Abs. 1 eine einfache Mehrheit.

Diese Variante können alle Teilnehmer – wenn sie möchten – von Liquid Feedback der PIRATEN Berlin Definition von Positionspapieren ohne Relativierung und Hürden unterstützen und auch gerne Anregungen geben, wie immer ich habe nicht den Anspruch mit allem Recht zu haben.

Zugegeben ist es mir sehr schwer gefallen, konstruktiv eine Lösung zu finden, emotional gesehen war ich gestern sehr enttäuscht, dass Ideen der Relativierung und des vorauseilenden Gehorsams in unserem Landesverbandes von Menschen möglich sind, die ich sehr schätze. Das ist wahrscheinlich das Problem, bei Unbekannten wäre ich emotionsloser.

Willensbildung nach § 11 Liquid Democracy gem. Satzung PIRATEN Berlin

Als PIRATEN Berlin haben wir im § 11 unserer Satzung beschlossen, zwischen den Mitgliederversammlungen das Konzept der Liquid Democracy zur Willensbildung über das Internet zu nutzen. Es sollte auffallen, dass von der Willensbildung zwischen den Mitgliederversammlungen die Rede ist, somit keine Programm- und Satzungsänderungsanträge. Was übrig bleibt sind eben Positionspapiere, also das Festhalten wie die PIRATEN Berlin zu Thema XY momentan stehen.

Wenn nun diesen Positionspapieren die Relevanz genommen wird, wie sollen dann die Empfehlungen an Mandats- und Amtsträger, Beauftragte aussehen? Wir würden uns selbst den Boden unter den Füßen wegziehen. Darüber hinaus kann ich mir jegliche Bemühungen sparen, eine Überprüfbarkeit der Plattform zur Willensbildung nach Liquid Democracy auf Landesebene hinzubekommen, wozu? Wenn es doch keine Relevanz hat?

Würde man für Positionspapiere 2/3-Mehrheit beschließen, müsste Mensch auch die Regelwerke der Plattform zur Willensbildung unseres Landesverbandes anpassen – was bleibt dann noch, was man mit einfacher Mehrheit zu einer Relevanz verhelfen kann. Die in letzter Zeit so sprudelnden Initiativen über Erwartungen, wie andere sein müssen, so nach dem Prinzip, ich bastele mir mal das perfekte Vorstandsmitglied, den perfekten Abgeordneten oder den perfekten Kandidaten zur Bundestagswahl? Nein, kein Bedarf, das ist nicht meine Vorstellung von demokratischen Entscheidungen durch die Mitglieder, für die wir ja sonst so einstehen.

Da mir Liquid Democracy so viel bedeutet, aber nur wenn es eine Relevanz hat bzw. erreichen kann, wäre auch das das Ende meiner Mitgliedschaft, vielleicht würde ich noch eine Weile kämpfen, um nicht sofort aufzugeben, vielleicht wieder eine Satzungsänderung einbringen, die den Ursprungszustand herstellt, aber ich werde nicht meinen Idealismus von Demokratie und Liquid Democracy verkaufen, um Mitglied der Piratenpartei zu bleiben.

2 Gedanken zu “Demokratie – Relevanz von Entscheidungen und ihre Vergleichbarkeit – Positionspapiere

  1. „2/3-Mehrheit ist kein Allheilmittel und verhindert eine Priorisierung der Relevanz von Entscheidungen“?
    Halb und halb. Sicher ist eine 2/3 -Mehrheit kein Allheilmittel, aber dass es ‚eine Priorisierung der Relevanz von Entscheindungen verhindert‘, halte ich für nicht verifizierbar, ergo: Eine rein subjektive Behauptung.
    Viel eher könnte eine 2/3-Mehrheit m.E. zur Demokratisierung im Prozess der Etnscheidungsfindung beitragen. Dieser Faktor erhält vor allem deshlab eine beinahe zwingende Notwendigkeit, da sich momentan noch nicht einmal 5% der Berliner Parteimitglieder regelmäßig an Liquid-Feedback-Entscheidungen beteiligen. Und da selbst davon noch ein paar Prozent deligiert sind, sinkt die Realbeteiligung vermutlich auf irgendwo um die 2-3%. Etwas besser sieht es da schon mit der Landesmitgliederversammlung aus. Doch auch dort haben sich gerade mal rund 10% der stimmberechtigten Mitglieder der Piratenpartei Detuschland Berlin akkreditiert.
    Momentan werden also sämtliche Entscheidungen von einer absoluten Minderheit getroffen, die sich dann noch nicht einmal auf eine 2/3-Mehrheit verständigen will. Das stimmt traurig. Denn anders als in vielen anderen Themenbereichen darf gerade in einer Auseinandersetzung über ‚innerparteilichen Meinungsbildung‘ kein Platz sein für ‚Minderheitenschutz‘ oder, etwas direkter formuliert, ‚Machterhalt‘.

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